„Du sollst den Tag nicht vor dem Abend loben“…

Als die vier Abends von ihrem Ausflug zurückkommen, sehen sie schon von Weitem die Leibwache des Königs. Im Licht der tiefstehenden Sonne steigen sie von ihren Pferden ab und übergeben sie den Stallknechten. Sie müssen gerade erst zurückgekommen sein, überlegt Michal.
Sie hat einen wunderschönen Tag erlebt und konnte die Sorge um David tatsächlich eine Weile vergessen. Aber wie viel schöner wäre der Ausflug mit ihm gewesen!
Auch Palti, Jonathan und Michal überlassen ihre Pferde Levi und den anderen Stallknechten.
„War schön mit euch! Lasst uns das bei Gelegenheit nochmal machen!“ ruft ihnen Levi zum Abschied nach.
„Gute Idee!“ ruft Palti zurück.
Derweil hat Michal ein ungutes Gefühl bekommen. Von wo sind die Leibwachen gekommen? Hat es was mit David zu tun? Beklommen ringt sie sich schließlich dazu durch, die Wachen zu fragen.
„Wo wart ihr? Was habt ihr gemacht?“
Die Wachen werfen sich fragende Blicke zu, unschlüssig, ob sie antworten sollen, oder nicht. Doch dann ergreift Davids Stellvertreter – David war der Leiter der königlichen Leibwache – das Wort: „Wir kommen gerade von Nob. Saul hat dort nach David geforscht. Anscheinend haben ihm die Priester dort Verpflegung für ihn und seine Männer sowie Goliaths Schwert gegeben. Das ungeheuerliche daran ist, dass sie ihm das heilige Brot aus der Stiftshütte gegeben haben.“
„Was?! Wie kann das sein?“ Michal ist geschockt.
„Sie hatten wohl nichts anderes.“
„Und wo ist David jetzt?“ will sie wissen.
Die Wache holt tief Luft, bevor sie weiterspricht: „David war schon weg. Aber Sauls Rache an den Priestern war schrecklich. Keiner von uns ist an ihrem Blut schuldig. Dort war ein Rüpel, der die Drecksarbeit für Saul gemacht hat. Soweit ich weiß, hat keiner der Priester überlebt.“
„Nein! Wie furchtbar!“ Nun ist Michal wirklich geschockt. Sie senkt den Blick, um ihre Tränen zu verbergen, fall sie den Kampf gegen sie verliert. Auch die Wachen sind zutiefst betrübt.
Michal spürt, wie sich eine Hand von hinten auf ihre Schulter legt. Jonathan zieht sie zu sich und umarmt sie tröstend.
„Komm mit,“ sagt er leise zu ihr.

Überredet

Es klopft an ihrer Zimmertür. „Herein,“ sagt sie abwesend. Jonathan betritt das Zimmer.
„Hallo Michal. Sag mal, hast du Lust, morgen einen Ausflug zu machen?“
„Du auch? Ich habe gerade einen Brief bekommen. Einer der Boten des Königs hat mich auf einen Ausflug morgen eingeladen.“ Sie fühlt sich sichtlich unwohl.
„Von welchem Boten ist der Brief denn?“ fragt Jonathan neugierig. Mehr lesen

Ein Brief

Die Tage vergehen und Saul will Michal immer noch nicht nach Hause lassen. So verbringt sie diese Zeit auf der Residenz des Königs. Und als Prinzessin lebt es sich dort auch ganz gut.
Eines Tages erhält sie einen Brief. Aufgeregt und in der Hoffnung, er sei von ihrem Mann, öffnet sie ihn. Doch wie enttäuscht ist Michal, als sie ihn liest:
Verehrte Prinzessin,
Ich habe von Ihrer unglücklichen Lage erfahren: Ihr Mann, David, musste fliehen, weil der König ihn töten will und Sie selbst mussten zu ihrem Vater zurückkehren. Ich schreibe Ihnen diesen Brief, um Ihnen mein tiefstes Bedauern und Mitleid auszudrücken. Gleichzeitig möchte ich Ihnen anbieten, Ihre Zeit etwas angenehmer zu gestalten. Wie wäre es mit ein paar Ausflügen, um Abwechslung in Ihren Alltag zu bringen und Sie von Ihrem Kummer abzulenken?
Damit Sie auch wissen, mit wem sie es zu tun haben: Ich bin Palti, der Sohn Lajischs aus Gallim. Ich bin ein Bote des Königs. Vielleicht erinnern Sie sich an mich. Ich saß neben Ihnen auf dem Wagen, als wir David im Bett zum König bringen wollten.

Ist das etwa der, dem sein Wohlbefinden wichtiger war, als das Leben meines Mannes? So schießt es Michal durch den Kopf. Pah … aber vielleicht ist es auch der andere Kerl, der nichts gesagt hat … Ach! Ich weiß es nicht!
Wenn Sie also Interesse an meinem Angebot haben, warten Sie morgen früh bei Sonnenaufgang  an den Ställen. Mit Ihrem Vater habe ich bereits alles geklärt und er gestattet Ihnen, einen Ausflug zu machen. Ich freue mich auf Ihr Erscheinen.
Hochachtungsvoll,
Palti, Sohn des Lajisch
Michal lässt sich mit einem Seufzer rückwärts auf ihr Bett fallen. Ich habe keine große Lust, mit den Leuten Zeit zu verbringen, die Vater helfen, David loszuwerden. Andererseits würde mir so ein Ausflug auch guttun und mich auf andere Gedanken bringen… Ach, ich weiß nicht!

Geheime Unterredung

Die Abendluft ist mild und noch erfüllt von dem Duft verschiedener Blumen, die schon fast geschlossen sind. Vögel singen ihre Abendlieder. Die Sonne ist schon hinter dem Horizont verschwunden, aber ihre letzten Strahlen färben den Himmel feuerrot ein. Umgeben von Palmen, Zypressen, Hennasträuchern, Maulbeer- und Granatapfelbäumen wartet Michal im Garten auf ihren Bruder und erfreut sich an dem wunderschönen Naturschauspiel. Sie hört leise Schritte hinter sich und dreht sich um.
„Hallo Jonathan,“ begrüßt sie ihren Bruder mit gedämpfter Stimme.
„Hey Michal. Hast du lange warten müssen?“ erkundigt sich dieser.
„Schon in Ordnung. Ich habe den Abend genossen, da ist mir nicht langweilig geworden. Warum hast du mich hierher bestellt?“
Jonathan atmet tief durch, bevor er mit der Erklärung beginnt. „Du hattest Recht, was Saul und David angeht. Ich hatte versucht, David an die königliche Tafel zu holen, aber er hatte Angst, dass Papa ihn töten würde. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass David so sehr in Gefahr ist. Erst, als Papa den Speer nach mir warf, wurde es mir klar …“
„Du hast David getroffen?“ unterbricht sie ihn.
„Ja, und ein Zeichen vereinbart, damit er weiß, ob er fliehen muss oder ob seine Angst unbegründet ist. Vielleicht hast du mitbekommen, dass ich heute Bogenschießen war.“
„Hmm. Naja, so ein bisschen … ach stimmt, da war ja was! Der Junge kam allein mit deinem Bogen zurück. Er sagte, du hättest ihn vorgeschickt,“ fällt Michal ein.
„Genau. Als er weg war, habe ich mich von David verabschiedet,“ bestätigt Jonathan, wobei sich die Trauer über den Abschied von seinem besten Freund in seinem Gesicht abzeichnet.
„Ich vermisse ihn auch. Sehr sogar. Ich kann nicht mehr richtig schlafen,“ sagt Michal bekümmert.
„Ich wollte sowieso immer mal wieder nach David schauen. Dann kann ich dich auch auf dem Laufenden halten, wo er sich aufhält und wie es ihm geht.“ Jonathan lächelt seiner Schwester aufmunternd zu.
„Danke, das wäre super.“ In Michal keimt Hoffnung auf. „Könntest du mir Bescheid geben, wenn du David aufsuchst? Dann könnte ich dir Botschaften von mir für ihn mitgeben.“
„Kein Problem. Ich werde es dir sagen. Vorausgesetzt, es bringt unseren besten Freund nicht in Gefahr,“ meint ihr Bruder. „Lass uns gehen. Es ist kühl geworden und man kann schon bald die ersten Sterne sehen.“

Der Speer, der Jonathan die Augen öffnete

Einige Tage später: Der König sitzt mit seiner Familie und einigen wichtigen Leuten an einer reich gedeckten Tafel.  Es ist der zweite Tag des Neumonds, und damit der zweite Tag dieser feierlichen Versammlung. Michal sitzt neben ihrem Bruder Jonathan. Normalerweise würde David zwischen ihnen sitzen, aber er ist sowohl gestern als auch heute nicht erschienen. Der Platz zwischen ihnen ist leer. Die Stimmung ist gespannt. Ihr Vater starrt misstrauisch auf Davids leeren Platz während er in seinem Essen herumstochert. Dann wandert sein Blick von Davids leerem Platz zu Jonathan. „Warum ist Isais Sohn gestern und heute nicht zum Essen gekommen?“ fragt Saul seinen Sohn.
„David hat mich eindringlich gebeten, nach Bethlehem gehen zu dürfen, weil dort ein Familienopfer in der Stadt stattfindet und sein Bruder  hat darauf bestanden, dass er kommt. Er bat mich, ihn seine Brüder sehen zu lassen. Darum ist er nicht hier,“ antwortet Jonathan.
Michal spürt, dass das nicht stimmt. Sie kennt ihren Bruder gut genug, um zu wissen, wann er lügt. Außerdem weiß sie, dass David um sein Leben fürchten müsste, wenn er vor dem König erschien. Saul ist sich dessen wohl auch bewusst, denn nun packt ihn wieder sein Jähzorn und er fährt ihren Bruder an: „Du elender Bastard! Ich habe verstanden, dass du zu Isais Sohn hältst – zu deiner eigenen Schande und zur Schande deiner Mutter! Denn solange der Sohn Isais lebt, wirst weder du noch dein Königreich bestand haben. Lass ihn also zu mir bringen; er ist ein Kind des Todes!“
Jonathan steht der Schreck ins Gesicht geschrieben. „Warum soll er denn sterben? Was hat er denn getan?“ fragt er seinen Vater verständnislos. Das hätte er lieber nicht tun sollen, denn nun wirft Saul voller Wut einen Speer nach ihm. Michal schreit entsetzt auf, auch die anderen sind geschockt. Der Speer hat Jonathan glücklicherweise verfehlt. Dieser ist erst kurz erschrocken, aber nun steigt ihm die Zornesröte ins Gericht. Wütend knallt er sein Besteck auf den Tisch, steht auf und verlässt den Raum. Auch Michal ist wütend auf ihren Vater und macht sich Sorgen um ihren Mann. Wann werde ich David wiedersehen?

Botenbericht

Einige Tage später hört Michal, wie sich eine Gruppe von Boten unterhält.
„… und als wir dazu kamen, ging es uns genauso. Ein bisschen unheimlich, aber cool war es schon irgendwie,“ erzählt der Erste.
„Habt ihr Saul gesehen?“ fragt ein Zweiter aufgeregt.
„Klar. Aber wer hat nicht wenigstens davon gehört?“ meint ein Dritter.
„Worüber redet ihr?“ erkundigt sich Michal.
„Ach, die einzige, die noch nicht davon gehört hat, ist die Tochter der Königs?!“ Die Boten sehen sie erstaunt an.
„Bitte erzählt mir, was passiert ist.“
„Saul hat herausgefunden, dass David zu Samuel geflohen ist und hat uns geschickt, ihn zu holen. Aber wir konnten nichts machen. Gottes Geist kam über uns und wir haben geweissagt.“
„Als die ersten Boten nicht zurückkamen, sandte der König eine zweite Gruppe, der es aber genauso erging. Da sandte er eine dritte. Ebenso erfolglos,“ fährt der Zweite fort.
„Schließlich ist er selbst gegangen. Aber selbst er hat angefangen, zu prophezeien. Mehr noch, er hat sein Obergewand ausgezogen und so den ganzen Tag und die ganze Nacht vor Samuel und seinen Schülern verbracht,“ beendet der Dritte den Bericht.
„Tatsächlich? Ist er nun auch unter die Propheten gegangen?“ fragt die Prinzessin, der die Überraschung ins Gesicht geschrieben steht.
„Das haben andere auch schon gefragt,“ entgegnet ihr der Erste.
„Und was ist mit David?“ erkundigt sich Michal besorgt.
„Keine Sorge, Prinzessin. Er ist wohlbehalten und gesund. Keiner konnte ihm etwas tun,“ beruhigt sie der Dritte grinsend.
„Da bin ich aber froh,“ sagt sie erleichtert.
„Gott steht eindeutig auf Davids Seite. Solange er Gott treu bleibt, wird ihm nichts passieren,“ meint der Dritte. „Davon bin ich überzeugt.“
„Danke für euren Bericht. Ihr habt mir einen Stein vom Herzen genommen,“ bedankt sich Michal.
„Keine Ursache,“ winken die Boten ab. „Dafür sind wir schließlich da.“

Ist David wirklich in Lebensgefahr?

Michal sitzt mit angezogenen Beinen auf ihrem Bett in der königlichen Residenz. Saul wollte sie vorerst hier behalten, während er nach Davids Aufenthaltsort forscht. Früher oder später wird er ihn finden. Ich kann nur darum beten, dass Gott ihn beschützt. Herr, bitte bewahre meinen Mann vor Schaden. Erhalte ihn am Leben.
Jemand klopft. „Michal, bist du hier?“ dringt eine Stimme gedämpft in ihr Zimmer.
„Ja, komm rein.“
Leise knarrend öffnet sich die Tür und Jonathan, ihr Bruder, betritt das Zimmer. Michals Gesicht erhellt sich, als sie ihn sieht. „Jonathan!“ Freudig springt sie von ihrem Bett und umarmt ihn.
„Schön, dich wiederzusehen, Schwesterherz … können wir reden?“
„Sicher. Setz dich.“ Michal macht es sich wieder auf ihrem Bett bequem, während sich ihr Bruder einen Stuhl heranzieht.
„Also, warum möchtest du mit mir reden?“ fragt sie.
„Wo ist David?“ beginnt Jonathan.
„Das weiß ich nicht.“
„Warum ist er verschwunden?“
„Hast du das nicht mitbekommen?“ Michal runzelt die Stirn. „Vater will ihn umbringen. Gestern hat er wieder mit einem Speer nach ihm geworfen.“
„Bist du dir sicher, dass er ihn töten will? Ich weiß, wie jähzornig Papa sein kann und dass er dann die Kontrolle über sich verliert, aber will er ihn wirklich bewusst umbringen? Ich kann mir das nicht vorstellen!“
Michal erzählt ihm daraufhin, was gestern und heute passiert ist: Wie sie David zur Flucht verholfen, die Boten getäuscht, und wie ihr Vater auf den Betrug reagiert hat. „Ich habe Vaters Hass auf David mit eigenen Augen gesehen. Er will ihn töten, Jonathan,“ schließt sie ihren Bericht.
„Ich bin sein erstgeborener Sohn. Wäre nicht David zum König gesalbt worden, ich wäre der Thronerbe. Wenn Papa ihn wirklich umbringen will, würde er mich doch einweihen, oder nicht?“
Seine Schwester sieht ihn ungläubig an. „Es ist so eindeutig und du siehst es nicht?! Wach auf, Jonathan!“
„Ich werde jetzt David suchen und es selbst herausfinden. Bis später, Michal.“ Mit diesen Worten erhebt sich Jonathan von seine Stuhl und verlässt das Zimmer.
„Ja, bis später. Und erzähle mir, was du herausgefunden hast,“ ruft sie ihm nach. Hoffentlich erkennt er schnell die Wahrheit.

In der Höhle des Löwen

Ihr Herz setzt für einen Moment aus, nur um dann umso schneller weiter zu schlagen. Mit weichen Knien betritt Michal den Raum nach den Männern, die Davids Bett tragen. Noch ist keinem aufgefallen, dass eine Statue darin liegt. Doch das wird sich jeden Moment ändern.
Saul ist von seinem Thron aufgestanden und geht den Boten wenige Schritte entgegen. Er greift nach seinem Schwert, das er an seiner linken Seite trägt. Die Männer stellen das Bett vor ihm ab, verneigen sich und treten zur Seite.
„David, mein alter Freund, bist du etwa krank? Das tut mir aber leid.“ Michal kann den Hohn in der Stimme ihres Vaters nicht überhören.
Während Saul Davids Bett langsam umkreist zieht er sein Schwert aus der Scheide. „Gestern ging es dir doch noch gut. Und jetzt…? Warum bist du plötzlich krank?! … Sprich gefälligst mit mir!“ Saul ist laut geworden.
„Der ist schon die ganze Zeit so stumm. Er hat sich während der ganzen Zeit nicht mal bewegt. Wirkt wie tot,“ sagt der rothaarige Mann.
„Was du nicht sagst.“ Saul hat die Decke zurückgeschlagen. Während er wortlos auf den Terafim starrt, dem das Büschel Ziegenhaar vom Kopf gerutscht ist, steigt ihm die Zornesröte ins Gesicht. Ein Raunen läuft durch den Raum. Alle Augen richten sich auf Michal, die nahe an der Tür steht, um im Notfall fliehen zu können. Saul geht in schnellen großen Schritten auf sie zu und hält sie mit einer Hand fest. „Warum hast du mich so betrogen und meinen Feind fliehen lassen?!“ fragt er sie mit donnernder Stimme.
Seine Tochter ist einen Augenblick lang wie gelähmt vor Angst, doch dann hat sie den rettenden Einfall: „Er hat mir gedroht, mich zu töten, wenn ich ihn nicht gehen lasse.“ Mit vor Angst geweiteten Augen sieht sie ihren Vater an. Der lässt sie los, stößt sie von sich und befielt: „Schafft mir diese Puppe aus den Augen!“ wobei er mit der Spitze seines Schwertes auf den Hausgötzen in Davids Bett zeigt.

[Fortsetzung folgt…]

Zur Höhle des Löwen

Der Holzwagen bietet ausreichend Platz für das Bett und ein paar Personen. Neben Michal sitzen noch zwei der königlichen Gesandten im Wagen und passen auf. Vier Pferde ziehen sie über einen mit Schlaglöchern übersäten Weg. Aus Angst, der Terafim könnte vom Bett fallen oder die Decke von ihm herabrutschen, hat sich Michal auch auf das schmale Bett gelegt und bemüht sich, alles festzuhalten. Sie versucht, es so wirken zu lassen, als würde sie sich um ihren Mann sorgen, hält die Statue an der Schulter fest und streicht über das Ziegenhaar, wie sie David immer durchs Haar gestrichen hat. Dadurch verhindert sie, dass es herunterfällt und der Betrug vorzeitig auffliegt. Währenddessen überlegt sie fieberhaft, was sie tun sollte, wenn ihr Vater diesen entdeckt. Denn das ist unvermeidlich. Wie soll ich das nur erklären? Vater wird toben, wenn er das sieht. Wieso wollte ich eigentlich mitkommen? Wer weiß – vielleicht fahre ich gerade in meinen Tod …
„Prinzessin, es ist wirklich rührend, wie Sie sich um ihren Mann sorgen, aber er scheint schon tot zu sein. So steif und regungslos, wie der in seinem Bett liegt …“ Überrascht dreht Michal den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam. Ein Mann mit rotbraunen Haaren, einem kurzen Bart und edler Kleidung schaut sie mitleidig an. „Es tut mir wirklich leid für Sie,“ fügt er hinzu.
„Aber Sie haben ihn doch zum König bringen wollen, damit dieser ihn tötet,“ wendet sie ein.
„Das muss nicht unbedingt heißen, dass man dem zustimmt. Aber sich dem königlichen Befehl zu widersetzen hat ernste Konsequenzen.“
„Na und? Es geht hier um das Leben eines Unschuldigen!“ Michal sieht ihn verständnislos an.
„ … Ich fürchte, so selbstlos bin ich nicht, dass ich meine Stellung oder gar mein Leben für jemanden riskiere, den ich nicht persönlich kenne.“
Sie mustert ihn mit zusammengekniffenen Augen. „Das ist erbärmlich,“ sagt sie trocken und wendet sich von ihm ab.

Während der restlichen Fahrt spricht Michal mit niemandem mehr. Aber sie haben sowieso innerhalb weniger Minuten die Residenz des Königs erreicht. Es ist nicht wirklich ein prunkvoller Palast, eher ein großes, umzäuntes, schönes Herrenhaus. Drumherum sind Pferdeställe, aus denen Schnauben und Wiehern und das Rufen von Stallknechten zu hören ist . „Wir sind da!“ ruft der Gruppenführer. „Sagt dem König Bescheid!“
Einer der vor dem Haus postierten Wächter läuft in die Residenz, um dem König die Ankunft seiner Boten mitzuteilen. Währenddessen kommen einige Knechte angelaufen, um die Pferde abzusatteln, von denen die Boten gerade absitzen. Auch in den Wagen, in dem Michal halb auf dem Terafim lag, kommt Bewegung. Die Männer helfen ihr herunter und heben Davids Bett heraus, das sie zum Eingang tragen. Michal folgt ihnen mit klopfendem Herzen. Wie wird ihr Vater reagieren, wenn er sieht, dass nicht David im Bett liegt, sondern eine Statue?
Sie betreten das Haus und folgen einem breiten Gang zum „Thronsaal“. Es ist kein besonders großer Saal, aber groß genug, um darin Gespräche und Verhandlungen zu führen. Da Saul der erste König Israels ist, ist alles noch recht schlicht gehalten. Richtige Königspaläste müssen hierzulande erst noch gebaut werden.
Der vorausgeeilte Wächter steht vor der Tür. „Saul erwartet euch bereits. Er hat schlechte Laune,“ raunt er ihnen zu. Dann öffnet er ihnen die Tür und verkündet: „Eure Majestät, die Boten. Mit David und Michal.“
[Fortsetzung folgt…]