Auf der Flucht

Die Sonne brennt auf die Wüste nieder. Staubig und trocken ist die Luft und das Atmen fällt schwer. Keine Oase oder Wasserquelle ist in Sichtweite und die Wasservorräte vom letzten Stopp gehen zur Neige. Müde marschieren David und seine Männer zum nächsten Berg. Dort wollen sie in einer Höhle rasten. In Davids Kopf rasen viele Gedanken, während er sich den Schweiß von der Stirn reibt. Die Sorge um Michal macht ihn krank, wie es ihr wohl geht, denkt er sich, ob nicht Saul sie zu sich nimmt.
Während er sich nach einer Höhle umschaut, hört er seine Männer in der letzten Reihe rufen: „Saul und seine Männer sind in Anmarsch!“ Müde von der Flucht ruft David seinen Männern zu, schneller zu gehen, obwohl diese eher bereit zum Kampf sind. David will nicht gegen den König kämpfen. Er wollte es nie und kann deswegen seine jetzige Situation nicht verstehen. David reibt sich das Kinn: „ Was habe ich nur getan, dass er mich so erbittert verfolgt“ fragt er sich. Natürlich, er wurde von Samuel zum König gesalbt, doch würde er doch niemals Saul verraten. In Gedanken versunken bemerkt er, dass die Männer eine Höhle zum Schutz und Übernachtung gefunden haben. „Lasst uns hier rasten und ausruhen.“ Befielt David und setzt sich erschöpft auf den kalten und nassen Boden der Höhle. Durch die steilen Wände der Höhle hallt das erleichterte Aufatmen der Männer endlich eine Pause einlegen zu können.
David zieht sich in eine einsame Ecke der Höhle zurück, um das weitere Vorgehen zu überdenken. Matt nimmt er den Helm ab, streicht sich die zerzausten Haare zurecht und trinkt einen Schluck aus seinem Wasserschlauch. Erschöpft lehnt er sich an die Felswand und malt Kreise in den Staub. Er erinnert sich an die Zeit zurück, wo er noch bei seinem Vater lebte.

[Fortsetzung folgt…]

In der Höhle des Löwen

Ihr Herz setzt für einen Moment aus, nur um dann umso schneller weiter zu schlagen. Mit weichen Knien betritt Michal den Raum nach den Männern, die Davids Bett tragen. Noch ist keinem aufgefallen, dass eine Statue darin liegt. Doch das wird sich jeden Moment ändern.
Saul ist von seinem Thron aufgestanden und geht den Boten wenige Schritte entgegen. Er greift nach seinem Schwert, das er an seiner linken Seite trägt. Die Männer stellen das Bett vor ihm ab, verneigen sich und treten zur Seite.
„David, mein alter Freund, bist du etwa krank? Das tut mir aber leid.“ Michal kann den Hohn in der Stimme ihres Vaters nicht überhören.
Während Saul Davids Bett langsam umkreist zieht er sein Schwert aus der Scheide. „Gestern ging es dir doch noch gut. Und jetzt…? Warum bist du plötzlich krank?! … Sprich gefälligst mit mir!“ Saul ist laut geworden.
„Der ist schon die ganze Zeit so stumm. Er hat sich während der ganzen Zeit nicht mal bewegt. Wirkt wie tot,“ sagt der rothaarige Mann.
„Was du nicht sagst.“ Saul hat die Decke zurückgeschlagen. Während er wortlos auf den Terafim starrt, dem das Büschel Ziegenhaar vom Kopf gerutscht ist, steigt ihm die Zornesröte ins Gesicht. Ein Raunen läuft durch den Raum. Alle Augen richten sich auf Michal, die nahe an der Tür steht, um im Notfall fliehen zu können. Saul geht in schnellen großen Schritten auf sie zu und hält sie mit einer Hand fest. „Warum hast du mich so betrogen und meinen Feind fliehen lassen?!“ fragt er sie mit donnernder Stimme.
Seine Tochter ist einen Augenblick lang wie gelähmt vor Angst, doch dann hat sie den rettenden Einfall: „Er hat mir gedroht, mich zu töten, wenn ich ihn nicht gehen lasse.“ Mit vor Angst geweiteten Augen sieht sie ihren Vater an. Der lässt sie los, stößt sie von sich und befielt: „Schafft mir diese Puppe aus den Augen!“ wobei er mit der Spitze seines Schwertes auf den Hausgötzen in Davids Bett zeigt.

[Fortsetzung folgt…]

Zur Höhle des Löwen

Der Holzwagen bietet ausreichend Platz für das Bett und ein paar Personen. Neben Michal sitzen noch zwei der königlichen Gesandten im Wagen und passen auf. Vier Pferde ziehen sie über einen mit Schlaglöchern übersäten Weg. Aus Angst, der Terafim könnte vom Bett fallen oder die Decke von ihm herabrutschen, hat sich Michal auch auf das schmale Bett gelegt und bemüht sich, alles festzuhalten. Sie versucht, es so wirken zu lassen, als würde sie sich um ihren Mann sorgen, hält die Statue an der Schulter fest und streicht über das Ziegenhaar, wie sie David immer durchs Haar gestrichen hat. Dadurch verhindert sie, dass es herunterfällt und der Betrug vorzeitig auffliegt. Währenddessen überlegt sie fieberhaft, was sie tun sollte, wenn ihr Vater diesen entdeckt. Denn das ist unvermeidlich. Wie soll ich das nur erklären? Vater wird toben, wenn er das sieht. Wieso wollte ich eigentlich mitkommen? Wer weiß – vielleicht fahre ich gerade in meinen Tod …
„Prinzessin, es ist wirklich rührend, wie Sie sich um ihren Mann sorgen, aber er scheint schon tot zu sein. So steif und regungslos, wie der in seinem Bett liegt …“ Überrascht dreht Michal den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam. Ein Mann mit rotbraunen Haaren, einem kurzen Bart und edler Kleidung schaut sie mitleidig an. „Es tut mir wirklich leid für Sie,“ fügt er hinzu.
„Aber Sie haben ihn doch zum König bringen wollen, damit dieser ihn tötet,“ wendet sie ein.
„Das muss nicht unbedingt heißen, dass man dem zustimmt. Aber sich dem königlichen Befehl zu widersetzen hat ernste Konsequenzen.“
„Na und? Es geht hier um das Leben eines Unschuldigen!“ Michal sieht ihn verständnislos an.
„ … Ich fürchte, so selbstlos bin ich nicht, dass ich meine Stellung oder gar mein Leben für jemanden riskiere, den ich nicht persönlich kenne.“
Sie mustert ihn mit zusammengekniffenen Augen. „Das ist erbärmlich,“ sagt sie trocken und wendet sich von ihm ab.

Während der restlichen Fahrt spricht Michal mit niemandem mehr. Aber sie haben sowieso innerhalb weniger Minuten die Residenz des Königs erreicht. Es ist nicht wirklich ein prunkvoller Palast, eher ein großes, umzäuntes, schönes Herrenhaus. Drumherum sind Pferdeställe, aus denen Schnauben und Wiehern und das Rufen von Stallknechten zu hören ist . „Wir sind da!“ ruft der Gruppenführer. „Sagt dem König Bescheid!“
Einer der vor dem Haus postierten Wächter läuft in die Residenz, um dem König die Ankunft seiner Boten mitzuteilen. Währenddessen kommen einige Knechte angelaufen, um die Pferde abzusatteln, von denen die Boten gerade absitzen. Auch in den Wagen, in dem Michal halb auf dem Terafim lag, kommt Bewegung. Die Männer helfen ihr herunter und heben Davids Bett heraus, das sie zum Eingang tragen. Michal folgt ihnen mit klopfendem Herzen. Wie wird ihr Vater reagieren, wenn er sieht, dass nicht David im Bett liegt, sondern eine Statue?
Sie betreten das Haus und folgen einem breiten Gang zum „Thronsaal“. Es ist kein besonders großer Saal, aber groß genug, um darin Gespräche und Verhandlungen zu führen. Da Saul der erste König Israels ist, ist alles noch recht schlicht gehalten. Richtige Königspaläste müssen hierzulande erst noch gebaut werden.
Der vorausgeeilte Wächter steht vor der Tür. „Saul erwartet euch bereits. Er hat schlechte Laune,“ raunt er ihnen zu. Dann öffnet er ihnen die Tür und verkündet: „Eure Majestät, die Boten. Mit David und Michal.“
[Fortsetzung folgt…]

Fortestzung von „Jetzt heißt es Zeit schinden“

Und tatsächlich. Kaum eine Stunde ist vergangen, da stehen die Boten wieder vor ihrer Tür.
„Was wollt ihr schon wieder? Ich habe euch doch gesagt, dass David krank ist.“ Mit diesen Worten begrüßt Michal die Boten, als sie die Tür öffnet.
„Befehl des Königs: Wenn David nicht aufstehen kann, bringt ihn mir im Bett, damit ich ihn töten kann!“ entgegnet einer der Boten.
„WAS?! Das kann er doch nicht machen!“, entrüstet sich Michal. Der Bote sieht sie scharf an.
„Lass uns rein!“, verlangt er.
„Nein!“ Entschlossen verschränkt Michal die Arme und versperrt den Boten den Weg, indem sie sich mitten in die Tür stellt. „Nur über meine Leiche!“ Doch leider sind die Männer zahlreicher und stärker als sie. Sie schieben die Frau trotz ihrer Bemühungen, sie aufzuhalten, einfach beiseite. Nach kurzer Suche haben sie „David“ gefunden. Wie gut, dass ich für diesen Fall mit dem Terafim vorgesorgt habe, denkt Michal.
Sie folgt den Boten ins Schlafzimmer. Vier Männer heben das Bett hoch, in dem sie David vermuten. Keiner kommt auf die Idee, einen Blick unter die Decke zu werfen.
„Wenn ihr ihn schon mitnehmt, will ich auch mitkommen,“ bittet sie.
„Von mir aus,“ antwortet der Gruppenführer. „Du kannst auf dem Wagen mitfahren, auf dem wir auch deinen Mann mitnehmen werden.“
[Fortsetzung folgt…]

Jetzt heißt es Zeit schinden

David ist geflohen, aber ich muss ihm so viel Vorsprung wie möglich verschaffen … Ich hab eine Idee!
Michal holt den Terafim, einen Hausgötzen, aus einem Versteck. Der war David immer ein Dorn im Auge, aber für ihre Zwecke kommt er ihr jetzt gerade recht. Er ist etwa so groß wie ihr Mann. Wenn sie ihn in Davids Bett legt, ein Büschel Ziegenhaar seiner Haarfarbe an sein Kopfende legt und die Statue zudeckt, kann sie die Boten noch eine Weile hinhalten.
Der Terafim ist schwerer, als sie sich vorgestellt hattte. Aber mit Hilfe ihres Dienstmädchens schafft sie es dann doch, den Steinklotz in das Bett ihres Mannes zu befördern.
„Deborah, es ist wichtig, dass du niemandem ein Sterbenswörtchen von Davids Flucht sagst. Es wird sowieso früh genug herauskommen.“
„Wie Sie wünschen, Prinzessin.“ Die beiden Frauen lächeln sich verschwörerisch zu. „Sie sollten jetzt schlafen gehen. Es ist schon spät.“
„Nur noch das Büschel Ziegenhaar platzieren und die Statue zudecken – so, fertig. Und Danke für deine Hilfe.“
„Ich habe nur meine Pflicht getan“, winkt das Mädchen bescheiden ab. „Gute Nacht, Prinzessin.“ Sie zwinkert Michal zu und schließt die Tür hinter sich. Michal legt sich auf ihr Bett. Hoffentlich ist David in Sicherheit! Wann wird Vater sich endlich damit abfinden, dass Gott ihn zum nächsten König bestimmt hat? … Andererseits, wenn Gott ihn dazu ausgewählt hat, wird er ihn auch beschützen.
Noch eine ganze Weile kreisen ihre Gedanken. Sie ist abwechselnd zutiefst besorgt und hoffnungsvoll. Schließlich schläft sie erschöpft von all der Aufregung und dem schweißtreibenden Schleppen mit diesen Gedanken ein.
Am nächsten Morgen wird sie von lautem Klopfen geweckt. In aller Eile steht sie auf und wirft sich in ihr Obergewand. Draußen verlangen Stimmen ungeduldig, David zu sprechen. Während sie zur Tür läuft, fährt sie sich mit einer Hand durch das verwuschelte Haar, um nicht ganz so verschlafen zu wirken. Gerade pocht es wieder, da öffnet sie die Tür. Ein Bote des Königs blafft sie an, wo David sei und wieso sie ihn solange habe warten lassen. Aber das lässt sich Michal nicht bieten.
„Hör mal, Botenjunge. Du sprichst mit der Tochter des Königs. Etwas mehr Respekt, wenn ich bitten darf!“, sagt sie in einem Ton, der keine Widerrede duldet. „Und was David angeht – er ist krank. Geh zurück zu meinem Papa und bestell‘ ihm liebe Grüße von seiner Tochter.“
„Jawohl, Prinzessin“, ist alles, was der nun etwas kleinlaute Bote erwidert. Auf sein Kommando hin sitzen alle auf ihre Pferde auf, wenden und galoppieren davon. Michal sieht ihnen nach. Wie ich meinen Vater kenne, habe ich sie heute nicht das letzte Mal gesehen.
[Fortsetzung folgt…]